Freitag, 29. März 2013

Wenn die Lösung zum Problem wird! 4:2 Angriff gegen 3:2:1-Abwehr (jugoslawisch)


von Klaus Feldmann (www.handball-akademie.de)
und Daniel Meyer (www.handballcoaching.de)

Im Beitrag „3:2:1 - Standard und Vielfalt im gleichen System“ (ht 11/2012 und 12/2012) wurde kurz das Angriffsspiel gegen die 3:2:1-Abwehr thematisiert. Durch die DHB-Rahmentrainingskonzeption und Vorgaben für Auswahlmannschaften nimmt diese Abwehrformation eine zentrale Stellung im deutschen Nachwuchstraining ein. Viele Trainer von C- und B-Jugenden nutzen gegen diese Abwehr Übergänge ins 4:2  als Standardangriffs-mittel, wohl wissend dass in der vorgegebenen jugoslawischen Variante die Grundformation in der Abwehr aufrecht erhalten werden muss.

Zielsetzung im Nachwuchstraining muss es sein, individuell starke Spieler in Angriff und Abwehr auszubilden. Dies geschieht in erster Linie durch Zweikämpfe, die aufgrund einer mannorientierten Abwehrspielweise  in großen Räumen praktisch provoziert werden - solange die direkte Zuordnung von Abwehr- und Angriffsspielern gegeben ist. In der Manndeckung und der sinkenden Manndeckung wird diese Situation hergestellt. Mit der DHB-Rahmentrainingskonzeption und den damit verbundenen Deckungsvorgaben wird dies gezielt gefordert und gefördert.

Im Übergang zur offensiven Raumdeckung (1:5- und 3:2:1-Abwehr) gibt es auch eine klare Überlagerung der Arbeitsräume je eines Abwehrspielers und eines Angreifers solange der Angriff in der 3:3-Formation spielt (siehe Abb.1) . Die Grundidee beim Wechsel des Angriffssystems in eine 4:2-Formation ist es, diese mannorientierte Zuordnung zu knacken und damit Absprache- und Übergabe/Übernahme-Fehler in der Abwehr zu provozieren (siehe Abb. 2). Mit mannschafts-taktischen Mitteln werden gezielt die systematischen Schwächen der 3:2:1-Abwehr (jugoslawisch) angegriffen.

Abb. 1: 3:2:1-Abwehr gegen 3:3-Angriff


Abb. 2: 3:2:1-Abwehr gegen 4:2-Angriff





Die berechtigte Frage ist nun, ob Übergänge wirklich das Hauptangriffsmittel gegen diese 3:2:1-Abwehr sind. Zur quantitativen Absicherung dieser These wurden im Rahmen des Ländervergleichs der Auswahlen m97 am 24./25.11.2012 in Ratingen alle Spiele per Video aufgezeichnet und statistisch ausgewertet. Das Teilnehmerfeld und die Platzierungen sind dem Infokasten 1 zu entnehmen. Alle teilnehmenden Landesauswahlen agierten in Vorbereitung auf die DHB-Sichtung mit derselben Abwehrformation (3:2:1-jugoslawisch, d. h. mit Weiterspielen nach Übergängen). In allen zehn Begegnungen herrschten somit identische Bedingungen. Im Modus „Jeder-gegen-Jeden“ wurden pro Team vier Spiele ausgewertet. Die Ergebnisse der Spiele sind im Infokasten 2 dargestellt. 

Infokasten 1


Infokasten 2


Informationen zur statistischen Erfassung der Spiele: Es wurden ausschließlich abgeschlossene Angriffe im Positionsangriff gezählt. Abgeschlossene Angriffe aus Tempogegenstoß und erweitertem Tempogegenstoß wurden nicht berücksichtigt. Als Abschluss für einen Angriff kamen vier Kategorien in Betracht: Tor, Fehlwurf, Regelfehler (Schritte, Betreten des Wurfkreises, passives Spiel,…) oder technischer Fehler (abgefangener oder herausgespielter Ball). Die Einstufung des Angriffes in eine 3:3-Formation oder eine 4:2-Formation fand genau zum Zeitpunkt des Angriffsabschlusses statt.




Die Auswertung brachte für die einzelnen Teams folgende Ergebnisse:



















Quantität - wie viel?

Die Beantwortung der Ausgangsfrage („Sind Übergänge das Hauptangriffsmittel?“) kann durch die Gesamtstatistik auf den ersten Blick nicht bestätigt werden. Mit 47% der Angriffe im 3:3 und 53% im 4:2 besteht nur ein geringer Unterschied.

Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die Werte von Rheinland-Pfalz (90% im 3:3 und 10% im 4:2) das Gesamtbild verzerren. Die Auswahl von Rheinland-Pfalz hat insgesamt 140 Angriffe im 3:3 abgeschlossen; alle vier anderen Auswahlen kommen zusammen auf  201 Angriffe im 3:3. Hessen liegt mit 44% im 3:3 und 56% im 4:2 nahe am Gesamtdurchschnitt. Die anderen drei Teams (HV Saar 30% im 3:3 - 70% im 4:2, HV Niederrhein 31% im 3:3 - 69% im 4:2 und HV Niedersachsen 35% im 3:3 - 65% im 4:2) kommen im Durchschnitt auf ein Drittel Abschlüsse im 3:3 und zwei Drittel im 4:2. Mit diesen eindeutigen Werten für die drei Mannschaften ist die Ausgangsfrage positiv zu beantworteten.


Qualität - wie gut?

Im zweiten Schritt lohnt sich auch ein Blick auf die erzielte Angriffseffektivität. Für die einzelnen Teams lassen sich dabei weitere interessante Aspekte aus den Tabellen entnehmen.

Der Turnierzweite Hessen agierte in allen vier Spielen mit nahezu identischen Werten bei der Effektivität im Vergleich von Angriffen im 3:3 und im 4:2. Die Werte von Rheinland-Pfalz lassen aufgrund der sehr geringen Anzahl von 16 Angriffen im 4:2 einen Vergleich nicht zu.

Das Team vom Turniersieger HV Saar erreichte insgesamt einen leicht besseren Wert im 4:2 (50% Effizienz gegenüber 43% im 3:3). Es hatte aber auch zwei Spiele, bei denen die Effektivität im 3:3 höher als im 4:2 war (gg HV Niedersachsen +12% im 3:3 / gg den Hessischen HV +15 % im 3:3). In den beiden anderen Begegnungen war die Effektivität im 4:2 höher (gg Rheinland-Pfalz +19% / gg HV Niederrhein +28%).

Die Auswahlen vom HV Niederrhein (4. Platz) und vom HV Niedersachsen (5. Platz) kommen auf eine geringere Effizienz im 4:2. In je zwei Spielen dieser Teams war die Effektivität im 4:2 deutlich schlechter als im 3:3:
HV Niederrhein gg HV Saar (1. Platz im Turnier) -26%,
HV Niederrhein gg HV Niedersachen (5. Platz im Turnier) -24%,
HV Niedersachsen gg HV Niederrhein (4. Platz im Turnier) -32% und
HV Niedersachsen gg Hessischer HV (2. Platz im Turnier) -18%. 
Die Platzierungen im Turnier belegen, dass das Niveau der Gegner nicht unbedingt den Ausschlag für diese Werte gibt.


Zusammenfassung und weiterführende Fragen

Zwei Aussagen lassen sich auf der Basis der ermittelten Zahlen mit Sicherheit formulieren:
-  Der Anteil von Angriffen in 4:2-Aufstellung gegen die 3:2:1-Abwehr dominiert bei drei Auswahlen eindeutig.
-  Die erzielte Effizienz im 4:2-Angriff rechtfertigt diese Dominanz nicht.

Die Beobachtung der Spiele zeigte weiterhin vielfach ein stereotypes Angriffsspiel:
-  Im Positionsangriff wird der Ball ohne Einbindung der Aussenangreifer gepasst.
-  Auf Ansage wird der Übergang entweder von der ballfernen Seite (im Rücken der Abwehr) oder als Kombination aus zwei gruppentaktischen Handlungen (Doppelpass Rückraum mit Kreisspieler + Einlaufen von Aussen / Kreuzen mit Rücklegen im Rückraum + Übergang vom dritten Rückraumspieler) angesetzt. Diese Auslösehandlungen sind in dieser Altersstufe kaum zu verteidigen.
-  Die angesagten Übergänge werden im Angriff oftmals strikt nach Handlungsanweisung heruntergespielt. Vor allem beim Pass zum diagonal stehenden Kreisläufer findet oftmals keine situative Entscheidungsfindung vom Passgeber statt.
-  Oft wird dann im 4:2-Angriff mit einer breiten Aufstellung der beiden Kreisspieler agiert, so dass der HM der 3:2:1 möglichst lange Laufwege hat. Dies bringt weiterhin ein Absinken der Abwehr zur Folge, dass teilweise kaum ein Unterschied zu erkennen ist ob aktuell eine 3:2:1-Abwehr oder eine 6:0-Abwehr gespielt wird.
-  Die beiden Kreisspieler agieren zumeist passiv - sie warten ab, bis die Abwehr einen Übergabe/Übernahme-Fehler macht oder ein Abwehrspieler zu spät kommt.
-  Es gibt auch Mannschaften die den Angriff erst gar nicht im 3:3 beginnen, sondern sich sofort in der 4:2-Aufstellung positionieren ...

Abschließend können zumindest zwei weiterführende Fragen formuliert werden:
-  Stellt die Dominanz des 4:2-Angriffs ein Problem dar?
-  Sollte das stereotype (weil reglementierte) Abwehrspiel flexibler agieren können, um damit den Angriff vor andere Situationen zu stellen? 


Zu diesem Artikel werden wir in den nächsten Wochen Marc Brückner (Trainer mB-Bayernliga - HaSpo Bayreuth), Dirk Mathis (Landestrainer - HV Saar) und Julian Bauer (Trainer mA-Bundesliga - SG Ratingen) ihre Sicht der Dinge erörtern und hier veröffentlichen lassen.