von Klaus
Feldmann (www.handball-akademie.de)
und Daniel Meyer (www.handballcoaching.de)
Im Beitrag „3:2:1 - Standard und
Vielfalt im gleichen System“ (ht 11/2012 und 12/2012) wurde kurz das
Angriffsspiel gegen die 3:2:1-Abwehr thematisiert. Durch die
DHB-Rahmentrainingskonzeption und Vorgaben für Auswahlmannschaften nimmt diese
Abwehrformation eine zentrale Stellung im deutschen Nachwuchstraining ein.
Viele Trainer von C- und B-Jugenden nutzen gegen diese Abwehr Übergänge ins 4:2
als Standardangriffs-mittel, wohl
wissend dass in der vorgegebenen jugoslawischen Variante die Grundformation in
der Abwehr aufrecht erhalten werden muss.
Zielsetzung im Nachwuchstraining
muss es sein, individuell starke Spieler in Angriff und Abwehr auszubilden.
Dies geschieht in erster Linie durch Zweikämpfe, die aufgrund einer
mannorientierten Abwehrspielweise in
großen Räumen praktisch provoziert werden - solange die direkte Zuordnung von
Abwehr- und Angriffsspielern gegeben ist. In der Manndeckung und der sinkenden
Manndeckung wird diese Situation hergestellt. Mit der DHB-Rahmentrainingskonzeption
und den damit verbundenen Deckungsvorgaben wird dies gezielt gefordert und
gefördert.
Im Übergang zur offensiven
Raumdeckung (1:5- und 3:2:1-Abwehr) gibt es auch eine klare Überlagerung der
Arbeitsräume je eines Abwehrspielers und eines Angreifers solange der Angriff
in der 3:3-Formation spielt (siehe Abb.1) . Die Grundidee beim Wechsel des
Angriffssystems in eine 4:2-Formation ist es, diese mannorientierte Zuordnung
zu knacken und damit Absprache- und Übergabe/Übernahme-Fehler in der Abwehr zu
provozieren (siehe Abb. 2). Mit mannschafts-taktischen Mitteln werden gezielt
die systematischen Schwächen der 3:2:1-Abwehr (jugoslawisch) angegriffen.
Abb. 1: 3:2:1-Abwehr gegen 3:3-Angriff |
Abb. 2: 3:2:1-Abwehr gegen 4:2-Angriff |
Die berechtigte Frage ist nun, ob
Übergänge wirklich das Hauptangriffsmittel gegen diese 3:2:1-Abwehr sind. Zur
quantitativen Absicherung dieser These wurden im Rahmen des Ländervergleichs
der Auswahlen m97 am 24./25.11.2012 in Ratingen alle Spiele per Video
aufgezeichnet und statistisch ausgewertet. Das Teilnehmerfeld und die
Platzierungen sind dem Infokasten 1 zu entnehmen. Alle teilnehmenden
Landesauswahlen agierten in Vorbereitung auf die DHB-Sichtung mit derselben
Abwehrformation (3:2:1-jugoslawisch, d. h. mit Weiterspielen nach Übergängen).
In allen zehn Begegnungen herrschten somit identische Bedingungen. Im Modus
„Jeder-gegen-Jeden“ wurden pro Team vier Spiele ausgewertet. Die Ergebnisse der
Spiele sind im Infokasten 2 dargestellt.
Infokasten 1 |
Infokasten 2 |
Informationen zur statistischen
Erfassung der Spiele: Es wurden ausschließlich abgeschlossene Angriffe im
Positionsangriff gezählt. Abgeschlossene Angriffe aus Tempogegenstoß und
erweitertem Tempogegenstoß wurden nicht berücksichtigt. Als Abschluss für einen
Angriff kamen vier Kategorien in Betracht: Tor, Fehlwurf, Regelfehler
(Schritte, Betreten des Wurfkreises, passives Spiel,…) oder technischer Fehler
(abgefangener oder herausgespielter Ball). Die Einstufung des Angriffes in eine
3:3-Formation oder eine 4:2-Formation fand genau zum Zeitpunkt des
Angriffsabschlusses statt.
Die Auswertung brachte für die
einzelnen Teams folgende Ergebnisse:
Quantität - wie viel?
Die
Beantwortung der Ausgangsfrage („Sind Übergänge das Hauptangriffsmittel?“) kann
durch die Gesamtstatistik auf den ersten Blick nicht bestätigt werden. Mit 47%
der Angriffe im 3:3 und 53% im 4:2 besteht nur ein geringer Unterschied.
Bei genauerem
Hinsehen fällt auf, dass die Werte von Rheinland-Pfalz (90% im 3:3 und 10% im
4:2) das Gesamtbild verzerren. Die Auswahl von Rheinland-Pfalz hat insgesamt
140 Angriffe im 3:3 abgeschlossen; alle vier anderen Auswahlen kommen zusammen
auf 201 Angriffe im 3:3. Hessen liegt
mit 44% im 3:3 und 56% im 4:2 nahe am Gesamtdurchschnitt. Die anderen drei
Teams (HV Saar 30% im 3:3 - 70% im 4:2, HV Niederrhein 31% im 3:3 - 69% im 4:2
und HV Niedersachsen 35% im 3:3 - 65% im 4:2) kommen im Durchschnitt auf ein
Drittel Abschlüsse im 3:3 und zwei Drittel im 4:2. Mit diesen eindeutigen
Werten für die drei Mannschaften ist die Ausgangsfrage positiv zu
beantworteten.
Qualität - wie gut?
Im zweiten
Schritt lohnt sich auch ein Blick auf die erzielte Angriffseffektivität. Für
die einzelnen Teams lassen sich dabei weitere interessante Aspekte aus den
Tabellen entnehmen.
Der
Turnierzweite Hessen agierte in allen vier Spielen mit nahezu identischen
Werten bei der Effektivität im Vergleich von Angriffen im 3:3 und im 4:2. Die
Werte von Rheinland-Pfalz lassen aufgrund der sehr geringen Anzahl von 16
Angriffen im 4:2 einen Vergleich nicht zu.
Das Team vom
Turniersieger HV Saar erreichte insgesamt einen leicht besseren Wert im 4:2
(50% Effizienz gegenüber 43% im 3:3). Es hatte aber auch zwei Spiele, bei denen
die Effektivität im 3:3 höher als im 4:2 war (gg HV Niedersachsen +12% im 3:3 /
gg den Hessischen HV +15 % im 3:3). In den beiden anderen Begegnungen war die
Effektivität im 4:2 höher (gg Rheinland-Pfalz +19% / gg HV Niederrhein +28%).
Die Auswahlen
vom HV Niederrhein (4. Platz) und vom HV Niedersachsen (5. Platz) kommen auf eine
geringere Effizienz im 4:2. In je zwei Spielen dieser Teams war die
Effektivität im 4:2 deutlich schlechter als im 3:3:
HV
Niederrhein gg HV Saar (1. Platz im Turnier) -26%,
HV
Niederrhein gg HV Niedersachen (5. Platz im Turnier) -24%,
HV
Niedersachsen gg HV Niederrhein (4. Platz im Turnier) -32% und
HV Niedersachsen
gg Hessischer HV (2. Platz im Turnier) -18%.
Die
Platzierungen im Turnier belegen, dass das Niveau der Gegner nicht unbedingt
den Ausschlag für diese Werte gibt.
Zusammenfassung und weiterführende Fragen
Zwei Aussagen
lassen sich auf der Basis der ermittelten Zahlen mit Sicherheit formulieren:
- Der Anteil von Angriffen in
4:2-Aufstellung gegen die 3:2:1-Abwehr dominiert bei drei Auswahlen eindeutig.
- Die erzielte Effizienz im
4:2-Angriff rechtfertigt diese Dominanz nicht.
Die Beobachtung der Spiele zeigte
weiterhin vielfach ein stereotypes Angriffsspiel:
- Im Positionsangriff wird der Ball
ohne Einbindung der Aussenangreifer gepasst.
- Auf Ansage wird der Übergang
entweder von der ballfernen Seite (im Rücken der Abwehr) oder als Kombination
aus zwei gruppentaktischen Handlungen (Doppelpass Rückraum mit Kreisspieler +
Einlaufen von Aussen / Kreuzen mit Rücklegen im Rückraum + Übergang vom dritten
Rückraumspieler) angesetzt. Diese Auslösehandlungen sind in dieser Altersstufe
kaum zu verteidigen.
- Die angesagten Übergänge werden im
Angriff oftmals strikt nach Handlungsanweisung heruntergespielt. Vor allem beim
Pass zum diagonal stehenden Kreisläufer findet oftmals keine situative
Entscheidungsfindung vom Passgeber statt.
- Oft wird dann im 4:2-Angriff mit
einer breiten Aufstellung der beiden Kreisspieler agiert, so dass der HM der
3:2:1 möglichst lange Laufwege hat. Dies bringt weiterhin ein Absinken der Abwehr
zur Folge, dass teilweise kaum ein Unterschied zu erkennen ist ob aktuell eine
3:2:1-Abwehr oder eine 6:0-Abwehr gespielt wird.
- Die beiden Kreisspieler agieren
zumeist passiv - sie warten ab, bis die Abwehr einen Übergabe/Übernahme-Fehler
macht oder ein Abwehrspieler zu spät kommt.
- Es gibt auch Mannschaften die den
Angriff erst gar nicht im 3:3 beginnen, sondern sich sofort in der
4:2-Aufstellung positionieren ...
Abschließend
können zumindest zwei weiterführende Fragen formuliert werden:
- Stellt die Dominanz des
4:2-Angriffs ein Problem dar?
- Sollte das stereotype (weil
reglementierte) Abwehrspiel flexibler agieren können, um damit den Angriff vor
andere Situationen zu stellen?
Zu diesem Artikel werden wir in den nächsten Wochen Marc Brückner (Trainer mB-Bayernliga - HaSpo Bayreuth), Dirk Mathis (Landestrainer - HV Saar) und Julian Bauer (Trainer mA-Bundesliga - SG Ratingen) ihre Sicht der Dinge erörtern und hier veröffentlichen lassen.