Sonntag, 21. April 2013

Gastbeitrag von Julian Bauer

Julian Bauer (Trainer mA-Bundesliga SG Ratingen) zum Artikel "Wenn die Lösung zum Problem wird! 4:2-Angriff gegen 3-2-1-Abwehr (jugoslawisch)"





In ihrem Artikel diskutieren Feldmann und Meyer die Frage, ob der Systemwechsel aus dem 3:3-Angriff in einen 4:2-Angriff gegen die zwangsläufig jugoslawisch agierende 3:2:1-Abwehrreihen bei Auswahlmannschaften in der zu beobachtenden Häufigkeit als Hauptangriffsmittel gerechtfertigt ist.
Hierbei kann Dank des großen Arbeitsaufwandes der beiden Autoren auf dezidiertes Datenmaterial eines Ländervergleiches der männlichen Auswahlmannschaften des Jahrgangs 97 in Ratingen vom November 2012 zurückgegriffen werden. Aus Sicht des Autors sind mit der Behandlung des Themas zwei elementare Fragestellungen verbunden:

1. Wird der Zweck der individuellen Sichtung von Spielern für die nächsthöhere Förderstufe des DHB  einem Systemwechsel im Angriff folgend, ausreichend Rechnung getragen?

2. Rechtfertigen die statistisch vorliegenden Werte zu den Erfolgsquoten im klassischen 3:3-Angriff im Vergleich zum 4:2-Angriff die häufige Auswahl dieses mannschaftstaktischen Angriffsmittels Übergang + Folgehandlungen?

Die erste Frage muss sicher unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten erörtert werden. Der DHB-Rahmentrainingskonzeption folgend agieren alle Landesauswahlmannschaften bei der DHB-Sichtung im jugoslawischen 3:2:1-Abwehrsystem. Kernaufgabe der Sichtungsmaßnahme ist das Sichten von einzelnen Spielern für eine DHB-Maßnahme bzw. das Erkennen des individuellen Leistungsstandes der verschiedenen Spieler Landesverband-übergreifend. Wie von den beiden Autoren hinreichend beschrieben, führt der Systemwechsel des Angriffes dazu, dass eine klare Mannzuordnung innerhalb der Abwehrräume nicht mehr gegeben ist. Die jugoslawische 3:2:1-Abwehr als klassische Raumdeckung bietet der angreifenden Mannschaft daher die Möglichkeit mit kleingruppen- und mannschaftstaktischen Mitteln die Abwehr auszuspielen. Dies führt allerdings auch dazu, dass der individuelle Freiheitsgrad der Angreifer (vgl. Brack, 2004) eingeschränkt wird bzw. die Angreifer nicht mehr dazugezwungen sind, aufgrund der nicht mehr beizubehaltenden Mann-zu-Mann Zuordnung Zweikämpfe zu gewinnen. Natürlich schließt der Übergang in den 4:2-Angriff das erfolgreiche Lösen von 1:1 Situationen nicht aus, jedoch ist, wie von den beiden Autoren beschrieben, das Phänomen erkennbar, dass sich die abwehrenden Mannschaften in Folge von Übergängen oft stark zurücksinken lassen, um die Tiefenräume zu schließen, was wiederum erfolgreiche 1:1 Aktionen der Angreifer erschwert. Demzufolge muss davon gesprochen werden, dass oft die angreifende Mannschaft nach einem Übergang in den 4:2-Angriff erfolgreich sein wird, die dies am besten kleingruppen- und mannschaftstaktisch löst. Dies korreliert nicht zwangsläufig mit den individuell am bestem geschulten Einzelspielern, die bei einer Sichtung erkannt werden sollen. Natürlich stellt die individuelle Weiterspielqualität der einzelnen Rückraumspieler im 4:2-Angriff auch ein qualitatives Merkmal von Angreifern dar. Allerdings stellen Übergänge nur einen der vier klassischen Auftakthandlungen gemäß DHB Rahmentrainingskonzeption dar. Ebenfalls ist das erfolgreiche Lösen von Übergangssituationen für die Abwehr ein Qualitätsmerkmal, welches auch die individuellen Abwehrfähigkeiten des Abwehrspielers beinhaltet (vgl. Petersen, HT 05/06, 2005). Häufig ist jedoch in diesem Zusammenhang zu beobachten, dass gerade die Auftakthandlungen Stoßen und Kreuzen vom Angriff nur mangelhaft beherrscht werden und diese Mängel durch geschickte Systemwechsel erfolgreich „versteckt“ werden können. Demzufolge ist das Anwenden der Auftakthandlung Übergang durchaus als sinnvolles Mittel gegen eine jugoslawisch agierende 3:2:1 Abwehr zu sehen, sollte aber, wenn überhaupt, quantitativ so häufig genutzt werden, wie die Auftakthandlungen Sperren, Stoßen oder Kreuzen, welche ebenfalls die kleingruppen- und individuellen Fähigkeiten der Angreifer beinhalten. Soll aber wie bei den DHB-Sichtungen die individuelle Angriffs- und auch Abwehrqualität erfasst werden, so scheint die Herangehensweise von Rheinland-Pfalz beim Turnier in Ratingen lediglich 10% Übergangssituationen zu schaffen und ansonsten individuelle Qualitäten vor allem im Spiel 1:1 anzuwenden, die zielführendere zu sein. Die Observation, dass 53% der Angriffe im 4:2-System abgeschlossen wurden, untermauert hier die Notwendigkeit die quantitative Anwendung zu überdenken. Ebenfalls wäre die Frage zu stellen, ob das situative Auflösen der raumorientierten 3:2:1 Abwehr zugunsten einer mannorientierten 4:2 Abwehr die Angreifer wieder in gehäufte 1:1 Aktionen zwingen würde, wodurch die Angreifer zu individuellen Lösungen in Folge der klaren Mann-zu-Mann Zuordnung gezwungen würden.

Ebenfalls behandeln die Autoren die Frage, ob der häufige Systemwechsel in die 4:2-Angriffsformation qualitativ überhaupt den gewünschten Erfolg bringt. Die Gesamtstatistik des Turniers mit einer Stichproben Größe (n=733) zeigt eine Effektivität von 47% im 3:3 Angriffsspiel und 46% im 4:2 Angriffsspiel. Diese Zahlen und die Differenz stellen bei der Größe der Stichprobe sicher keinen signifikanten Unterschied dar. Jedoch stellt sich die Frage, ob aus ergebnisorientierter Sicht der Anteil von 53% (n=392) Angriffen im 4:2-Angriffssystem im Gesamtturnier überhaupt Sinn macht. Letzten Endes kann nicht nachgewiesen werden, dass für alle beteiligten Mannschaften einer vermehrtes Beibehalten des 3:3 Angriffes die Angriffseffektivitäten erhalten oder verbessert hätte, jedoch kann festgestellt werden, dass das vermehrte Spielen im 4:2 Angriff zu keinem ergebnistechnischen Vorteil im Gesamtturnier geführt hat. Da davon auszugehen ist, dass die jeweiligen Mannschaften und Trainer das vermehrte Übergehen in die 4:2-Formation gespielt haben um „Absprache- und Übergabe/Übernahme-Fehler in der Abwehr zu provozieren“ (Feldmann & Mayer, ibid) und dadurch einen Vorteil für den Angriff herzustellen, muss auf Grundlage der vorliegenden Resultate dieses Ziel als verfehlt bezeichnet werden. Von den 5 teilnehmenden Mannschaften hatten sogar 3 (Hessen, Niederrhein und Niedersachsen) im 4:2-Angriff schlechtere Quoten als im 3:3-Angriff. Ungeachtet dieser den Trainern sicher nicht bekannten Tatsache, schlossen aber gerade diese Mannschaften jeweils über 50% ihrer Angriffe im 4:2-Angriff ab. An dieser Stelle ist deshalb zu hinterfragen, ob ein vermehrtes Bleiben im 3:3-Angriff die Quoten dieser Mannschaften nicht verbessert hätte.

Fazit:          
Die Vorgaben des DHB geben den Auswahlmannschaften vor der Sichtung das Spielen der 3:2:1 im jugoslawischen System, also als klassische Raumdeckung vor. Hierdurch ist es dem Angriff möglich, durch einen Systemwechsel ins 4:2 die klassische Mann-zu-Mann Ordnung aufzulösen. Für den ein Jahr später stattfindenden Länderpokal gilt diese Vorgabe nicht mehr, so dass argumentiert werden kann, dass die Verbesserung des mannschafts- und kleingruppentaktischen Zusammenspiels der Auswahlmannschaften mit dem vermehrten Übergehen in die 4:2-Formation unter ergebnistechnischen Gesichtspunkten als sinnvoll erscheint. Basierend auf den Resultaten von Feldmann & Meyer muss aus Sicht des Autors aber der Systemwechsel in dieser quantitativen Ausprägung während der Sichtung in Frage gestellt werden, da er spieltaktische Verhaltensweisen sowohl im Angriff- als auch im Abwehrspiel provoziert, die das Erkennen von individuellen Fertigkeiten vor allem im Spiel 1:1 erschwert. Ebenfalls scheint zumindest für einige der untersuchten Mannschaften der Systemwechsel in die 4:2-Angriffsformation keine spieltaktischen Vorteile zu bringen, die sich in höheren Angriffseffektivitäten auswirken. Daher scheint es aus Sicht des Autors Sinn zu machen, entweder bei gehäufter Wahl des Systemwechsels in den 4:2-Angriff der Abwehr die Möglichkeit zu geben wiederum durch einen Systemwechsel in die 4:2-Abwehr die Mann-zu-Mann Ordnung beizubehalten oder der Übergang in die 4:2-Formation des Angriffs quantitativ begrenzt wird. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls eine größere Stichprobe wünschenswert, um die von Feldmann & Meyer aufgezeigten Trends zu verstärken oder gegebenenfalls zu verwerfen.    

Hier findet ihr das Buch von Julian Bauer: Der Torwart im Hallenhandball - reiner "Torwächter" oder verschenkter Angreifer?
             

Donnerstag, 11. April 2013

Gastbeitrag von Dirk Mathis



Es ist immer gut, die Spiele aus unterschiedlichen Sichtweisen zu beleuchten und zu analysieren. Eine detaillierte Aufschlüsselung der einzelnen Angriffe mit den dazugehörigen Auslösehandlungen ist aus meiner Sicht sehr interessant, auch bzgl. der Ausbildungsinhalte der einzelnen Landesverbände. Bei dem analysierten Ländervergleich kam meine Mannschaft bei der Hauptthese „sind Übergänge das Hauptangriffsmittel“  zu einer positiven Einschätzung. Den Grund sehe ich darin, dass die einzelnen Kader in der Saarland internen Ausbildungsstruktur eine hohe Trainingshäufigkeit aufweisen, also Grundsätzen ähnlich einer „Vereinsmannschaft“ unterliegen. In der Ausbildungsphilosophie des HVS sollen die Spieler eine bestmögliche individuelle Ausbildung erfahren. Die für die erfolgreiche Zweikampfführung notwendigen Rahmenbedingungen werden durch eine fundierte athletische Ausbildung unterstützt und die Spieler sollen in diesem Bereich ihre Stärken weiterentwickeln. Ein zweiter zentraler Punkt der Ausbildung ist aus meiner Sicht, Nachwuchsspieler „spielfähig“ zu machen. Dies geschieht in der Förderstruktur meiner Kader durch das gezielte Einsetzen von gruppentaktischen Maßnahmen. Wichtig ist dabei, dass die Spieler den Sinn von Auslösehandlungen verstehen und im Angriff, wie in der Abwehr richtige Entscheidungen treffen, die sich logischerweise an dem Verhalten der Gegenspieler orientieren. Die Spieler sollen lernen, ihre Stärken in den richtigen Spielsituationen einzusetzen (kontrolliert und erweitert wird dies durch regelmäßiges Videofeedback).

Bei der zweiten aufgestellten These bzgl. der Effizienz ist beim Team Saar eine verbesserte Effizienz im 4:2 (43%)  im Vergleich zum 3:3 Angriff (50%) zu erkennen. Die immer wiederkehrenden Auslösehandlungen bringen meine, im Bundesdurchschnitt eher „klein“ gewachsenen Spieler in vielzählige Entscheidungssituationen, die sie gut und variabel lösen und zu Torerfolgen umsetzen.

Meine Meinung ist, dass die Spieler in dieser Altersstufe ein Grundmuster an Auslösehandlungen und die entsprechenden Entscheidungsmöglichkeiten kennen sollten. Nach gespieltem Übergang sollen sie ihre individuellen Stärken ins Spiel einbringen.
Direktes Übergehen ohne Auslösehandlung, z.B. nach einem Gegentor, oder das Verweilen im 4:2 System, z.B. nach einem Freiwurf halte ich für bedenklich, da dann nicht situationsgerechte Verhaltensweisen auftreten.

Zur letzten abschließend aufgestellten These ob das „stereotype Abwehrspiel“ flexibler agieren sollte,  möchte ich anmerken, dass es Lösungsmöglichkeiten für die Abwehrspieler gibt. Zum einen kann in der gespielten 3:2:1 Abwehrvariante viel Druck auf den ballführenden Spieler ausgeübt werden und zum anderen müssen die Außenabwehrspieler mehr antizipatives Spiel anwenden und sich aktiv im Abwehrverband einbringen.

Generell finde ich, dass flexibles und situationsangepasstes Abwehrspiel zeitgemäß ist und sich die Abwehr, je nach Situation, die der Angriff wählt, flexibel reagierend zeigen sollte.


Montag, 8. April 2013

Gastbeitrag von Marc Brückner


Marc Brückner (Trainer mB-Jugend Bayernliga HaSpo Bayreuth) zum Artikel "Wenn die Lösung zum Problem wird! 4:2 Angriff gegen 3:2:1-Abwehr (jugoslawisch)"


Ist ein Angriffskonzept ein Problem?

Nein, es ist die Chance zum Umdenken und Weiterentwickeln! Die hohe Zahl von 4:2-Angriffen sehe ich als völlig normale Entwicklung im Handball. Bezogen auf unsere Mannschaft (B-Jugend Bayernliga) ist dieses System die nahezu einzige Möglichkeit gegen größere und kräftigere Mannschaften erfolgreich im Angriff zu spielen. Zugegebenermaßen liegt bei uns die Quote der 4:2-Angriffe sicher über 70-80%, um Tiefe und Breite zu generieren. Auch bei der aktuellen WM war der (deutsche) 4:2-Anteil gegenüber 3:2:1 gefühlt sehr hoch. Ebenso wurde zumeist auch gegen die deutsche 6:0-Abwehr das 4:2-Angriffssystem gespielt. Warum wird also ein System als Problem dargestellt, das zum einen sehr viele Lösungen gegen unterschiedliche Systeme bietet und zum anderen ein freies kooperatives (Kleingruppen-)Spiel im Angriff fördern „kann“?

Dass es zu dem, wie im Artikel genannten, „stereotypen Angriffsspiel ohne Einbindung der Außenspieler“ kommt, liegt meiner Meinung nach an der für mich „leider gängigen“ Methode des „defensiven VM“ bei Übergängen. Diese Variante wird in der Bundesliga gespielt, in nahezu allen Ausgaben der HT (zuletzt 1/13 Markus Gaugisch) demonstriert und letztendlich vom DHB gefordert.

Basierend auf drei Zitaten aus Peter Fedderns „3:2:1 mit Libero“ möchte ich eine Abwehrvariante bei Übergängen zur Diskussion stellen, die als „Aufrechterhalten der Vorteile und nicht nur des Systems der 3:2:1“ gesehen werden könnte.

In unserer B-Jugend reagieren wir auf Übergänge aus dem Rückraum (Außenübergang wird anders verteidigt) mit:

1. „Doppeln“ des ballbesitzenden Halbangreifers durch den VM und
2. „Anpressen“ des freien Halben durch den ballfernen Außenverteidigers. 


Idee: 

Zitat 1: „VM – der Zerstörer in vorderster Linie“
Der nach Übergängen wie in Abb. 2. „freie defensive VM“ geht aktiv zum Doppeln auf den ballbesitzenden Halben und zieht sich nicht „nur“ zurück. Der Druck auf den Ballbesitzer wird damit erhöht, der Weg zur Mitte nahezu unmöglich und die „Stereotypen“ Halb-Halb-Pässe gefährlich. Denn...

...Zitat 2: „Es gibt keine Punktwertung für Freistehen.“
In der aktuellen Variante (Abb.2) „stehen die Außenverteidiger und die restlichen Spieler werden zu „Sprintern“ im Mittelbereich. „Freistehen“ bezieht sich hier auf die beiden Kreisspieler. In unserer Variante steht der „ballentfernteste Spieler“ frei. Das weite Heraustreten an den freistehenden Halben durch den Außenspieler unterbindet nun die Halb-Halb-Pässe und führt eventuell sogar zum Steal. Denn...

...Zitat 3: „ Die 3:2:1-Abwehr mit Libero ist [...] eine Bekämpferdeckung.“
Der Druck wird dadurch spätestens nach dem Übergang von der Abwehr erzeugt und nicht mehr vom Angriff! Die bisherige Variante des Abwehrsystems erzeugt hingegen eher ein Reagieren als Agieren (Bekämpfen). Und das fördert „stereotypes Angriffs- UND Abwehrverhalten“.

Als vor einigen Jahren die defensive 6:0-Abwehr durch (Leer-) Kreuzungen des Angriffs uneffektiv wurde, „mutierte“ sie zur „antizipativen flexiblen Wand“. Diesen Prozess gilt es nun meiner Meinung nach für die 3:2:1-Abwehr „anzustoßen“.