Julian Bauer (Trainer mA-Bundesliga SG Ratingen) zum Artikel "Wenn die Lösung zum Problem wird! 4:2-Angriff gegen 3-2-1-Abwehr (jugoslawisch)"
In ihrem Artikel
diskutieren Feldmann und Meyer die Frage, ob der Systemwechsel aus dem
3:3-Angriff in einen 4:2-Angriff gegen die zwangsläufig jugoslawisch agierende
3:2:1-Abwehrreihen bei Auswahlmannschaften in der zu beobachtenden Häufigkeit
als Hauptangriffsmittel gerechtfertigt ist.
Hierbei kann Dank des
großen Arbeitsaufwandes der beiden Autoren auf dezidiertes Datenmaterial eines
Ländervergleiches der männlichen Auswahlmannschaften des Jahrgangs 97 in
Ratingen vom November 2012 zurückgegriffen werden. Aus Sicht des Autors
sind mit der Behandlung des Themas zwei elementare Fragestellungen verbunden:
1.
Wird der Zweck der individuellen Sichtung von Spielern für die nächsthöhere
Förderstufe des DHB einem Systemwechsel
im Angriff folgend, ausreichend Rechnung getragen?
2.
Rechtfertigen die statistisch vorliegenden Werte zu den Erfolgsquoten im
klassischen 3:3-Angriff im Vergleich zum 4:2-Angriff die häufige Auswahl dieses
mannschaftstaktischen Angriffsmittels Übergang + Folgehandlungen?
Die erste Frage muss
sicher unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten erörtert werden. Der
DHB-Rahmentrainingskonzeption folgend agieren alle Landesauswahlmannschaften
bei der DHB-Sichtung im jugoslawischen 3:2:1-Abwehrsystem. Kernaufgabe der
Sichtungsmaßnahme ist das Sichten von einzelnen Spielern für eine DHB-Maßnahme
bzw. das Erkennen des individuellen Leistungsstandes der verschiedenen Spieler Landesverband-übergreifend. Wie von den beiden
Autoren hinreichend beschrieben, führt der Systemwechsel des Angriffes dazu,
dass eine klare Mannzuordnung innerhalb der Abwehrräume nicht mehr gegeben ist.
Die jugoslawische 3:2:1-Abwehr als klassische Raumdeckung bietet der
angreifenden Mannschaft daher die Möglichkeit mit kleingruppen- und
mannschaftstaktischen Mitteln die Abwehr auszuspielen. Dies führt allerdings
auch dazu, dass der individuelle Freiheitsgrad der Angreifer (vgl. Brack, 2004)
eingeschränkt wird bzw. die Angreifer nicht mehr dazugezwungen sind, aufgrund
der nicht mehr beizubehaltenden Mann-zu-Mann Zuordnung Zweikämpfe zu gewinnen. Natürlich schließt der
Übergang in den 4:2-Angriff das erfolgreiche Lösen von 1:1 Situationen nicht
aus, jedoch ist, wie von den beiden Autoren beschrieben, das Phänomen
erkennbar, dass sich die abwehrenden Mannschaften in Folge von Übergängen oft
stark zurücksinken lassen, um die Tiefenräume zu schließen, was wiederum
erfolgreiche 1:1 Aktionen der Angreifer erschwert. Demzufolge muss davon
gesprochen werden, dass oft die angreifende Mannschaft nach einem Übergang in
den 4:2-Angriff erfolgreich sein wird, die dies am besten kleingruppen- und
mannschaftstaktisch löst. Dies korreliert nicht zwangsläufig mit den
individuell am bestem geschulten Einzelspielern, die bei einer Sichtung erkannt
werden sollen. Natürlich stellt die
individuelle Weiterspielqualität der einzelnen Rückraumspieler im 4:2-Angriff
auch ein qualitatives Merkmal von Angreifern dar. Allerdings stellen Übergänge
nur einen der vier klassischen Auftakthandlungen gemäß DHB Rahmentrainingskonzeption dar. Ebenfalls ist das erfolgreiche Lösen von
Übergangssituationen für die Abwehr ein Qualitätsmerkmal, welches auch die individuellen
Abwehrfähigkeiten des Abwehrspielers beinhaltet (vgl. Petersen, HT 05/06,
2005). Häufig ist jedoch in diesem Zusammenhang zu beobachten, dass gerade die
Auftakthandlungen Stoßen und Kreuzen vom Angriff nur mangelhaft beherrscht
werden und diese Mängel durch geschickte Systemwechsel erfolgreich „versteckt“
werden können. Demzufolge ist das
Anwenden der Auftakthandlung Übergang durchaus als sinnvolles Mittel gegen eine
jugoslawisch agierende 3:2:1 Abwehr zu sehen, sollte aber, wenn überhaupt,
quantitativ so häufig genutzt werden, wie die Auftakthandlungen Sperren, Stoßen
oder Kreuzen, welche ebenfalls die kleingruppen- und individuellen Fähigkeiten
der Angreifer beinhalten. Soll aber wie bei den DHB-Sichtungen die individuelle
Angriffs- und auch Abwehrqualität erfasst werden, so scheint die
Herangehensweise von Rheinland-Pfalz beim Turnier in Ratingen lediglich 10%
Übergangssituationen zu schaffen und ansonsten individuelle Qualitäten vor
allem im Spiel 1:1 anzuwenden, die zielführendere zu sein. Die Observation, dass
53% der Angriffe im 4:2-System abgeschlossen wurden, untermauert hier die
Notwendigkeit die quantitative Anwendung zu überdenken. Ebenfalls wäre die
Frage zu stellen, ob das situative Auflösen der raumorientierten 3:2:1 Abwehr
zugunsten einer mannorientierten 4:2 Abwehr die Angreifer wieder in gehäufte
1:1 Aktionen zwingen würde, wodurch die Angreifer zu individuellen Lösungen in
Folge der klaren Mann-zu-Mann Zuordnung gezwungen würden.
Ebenfalls behandeln die
Autoren die Frage, ob der häufige Systemwechsel in die 4:2-Angriffsformation
qualitativ überhaupt den gewünschten Erfolg bringt. Die Gesamtstatistik des
Turniers mit einer Stichproben Größe (n=733) zeigt eine Effektivität von 47% im
3:3 Angriffsspiel und 46% im 4:2 Angriffsspiel. Diese Zahlen und die Differenz
stellen bei der Größe der Stichprobe sicher keinen signifikanten Unterschied
dar. Jedoch stellt sich die Frage, ob aus ergebnisorientierter Sicht der Anteil
von 53% (n=392) Angriffen im 4:2-Angriffssystem im Gesamtturnier überhaupt Sinn
macht. Letzten Endes kann nicht nachgewiesen werden, dass für alle beteiligten
Mannschaften einer vermehrtes Beibehalten des 3:3 Angriffes die
Angriffseffektivitäten erhalten oder verbessert hätte, jedoch kann festgestellt
werden, dass das vermehrte Spielen im 4:2 Angriff zu keinem ergebnistechnischen
Vorteil im Gesamtturnier geführt hat. Da davon auszugehen
ist, dass die jeweiligen Mannschaften und Trainer das vermehrte Übergehen in
die 4:2-Formation gespielt haben um „Absprache- und Übergabe/Übernahme-Fehler
in der Abwehr zu provozieren“ (Feldmann & Mayer, ibid) und dadurch einen
Vorteil für den Angriff herzustellen, muss auf Grundlage der vorliegenden
Resultate dieses Ziel als verfehlt bezeichnet werden. Von den 5 teilnehmenden
Mannschaften hatten sogar 3 (Hessen, Niederrhein und Niedersachsen) im
4:2-Angriff schlechtere Quoten als im 3:3-Angriff. Ungeachtet dieser den
Trainern sicher nicht bekannten Tatsache, schlossen aber gerade diese
Mannschaften jeweils über 50% ihrer Angriffe im 4:2-Angriff ab. An dieser
Stelle ist deshalb zu hinterfragen, ob ein vermehrtes Bleiben im 3:3-Angriff
die Quoten dieser Mannschaften nicht verbessert hätte.
Fazit:
Die
Vorgaben des DHB geben den Auswahlmannschaften vor der Sichtung das Spielen der
3:2:1 im jugoslawischen System, also als klassische Raumdeckung vor. Hierdurch
ist es dem Angriff möglich, durch einen Systemwechsel ins 4:2 die klassische
Mann-zu-Mann Ordnung aufzulösen. Für
den ein Jahr später stattfindenden Länderpokal gilt diese Vorgabe nicht mehr,
so dass argumentiert werden kann, dass die Verbesserung des mannschafts- und kleingruppentaktischen Zusammenspiels der Auswahlmannschaften mit dem
vermehrten Übergehen in die 4:2-Formation unter ergebnistechnischen Gesichtspunkten
als sinnvoll erscheint. Basierend
auf den Resultaten von Feldmann & Meyer muss aus Sicht des Autors aber der
Systemwechsel in dieser quantitativen Ausprägung während der Sichtung in Frage
gestellt werden, da er spieltaktische Verhaltensweisen sowohl im Angriff- als
auch im Abwehrspiel provoziert, die das Erkennen von individuellen Fertigkeiten
vor allem im Spiel 1:1 erschwert. Ebenfalls
scheint zumindest für einige der untersuchten Mannschaften der Systemwechsel in
die 4:2-Angriffsformation keine spieltaktischen Vorteile zu bringen, die sich
in höheren Angriffseffektivitäten auswirken. Daher
scheint es aus Sicht des Autors Sinn zu machen, entweder bei gehäufter Wahl des
Systemwechsels in den 4:2-Angriff der Abwehr die Möglichkeit zu geben wiederum
durch einen Systemwechsel in die 4:2-Abwehr die Mann-zu-Mann Ordnung
beizubehalten oder der Übergang in die 4:2-Formation des Angriffs quantitativ
begrenzt wird. In
diesem Zusammenhang ist ebenfalls eine größere Stichprobe wünschenswert, um die
von Feldmann & Meyer aufgezeigten Trends zu verstärken oder gegebenenfalls
zu verwerfen.
Hier findet ihr das Buch von Julian Bauer: Der Torwart im Hallenhandball - reiner "Torwächter" oder verschenkter Angreifer?
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